Im Zuge der Säkularisierung, dem vielleicht bedeutendsten Merkmal des Aufzugs der Moderne, erfuhr die Legitimation und Konstruktion von Männlichkeit einen entscheidenden Wandel. Zu einer neuen Arena, in der Konzepte von Männlichkeit ausgehandelt wurden, konnte sich seit den 1860er Jahren die Sexualwissenschaft entwickeln: Zuvor von göttlichen Instanzen vorgegebene Erklärungsmuster über die Ordnung der Sexualität und der Geschlechter wurden hier allmählich durch die Überzeugungskraft der Beweisführungen empirischer Wissenschaft ersetzt. Indem Männlichkeit in den Diskursen dieser neuen Wissenschaftsdisziplin im engen Verhältnis zur physischen Kategorie der Sexualität ausgehandelt wurde, erhielt sie zudem jene Leiblichkeit, die sie aus dem Olymp der Götter in die Niederungen irdischer Materalität entführte. Die "Gottesebenbildlichkeit” des Mannes wurde auf diese Weise entzaubert. Gerade in der Sexualwissenschaft zeigte sich jedoch auch das Janusgesicht von Säkularisierung: Versteht man darunter nicht nur den Abschied von religiös legitimierten Erklärungsmustern, sondern gleichzeitig eine Entwicklung, in der das "religiöse Erbe in säkularen Formen weiter — konstituierend — wirkt,” so kann Säkularisierung auch als ein "Umdeutungsprozess religiöser Motive” interpretiert werden. Gerade in der biologistischen Fundierung der Geschlechterverhältnisse (und eben auch von Männlichkeit), wie sie in der Sexualwissenschaft einen Höhepunkt erreichte, lässt sich deutlich erkennen, dass die Ordnung der Geschlechter zwar nun nicht mehr explizit religiös begründet, aber durch die sich abzeichenende Dominanz biologistischer Erklärungsparadigma weiterhin als "natürlich” gegeben interpretiert wurde.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass Karl Heinrich Ulrichs (1825–95), der zum Pionier der Sexualwissenschaft in Deutschland wurde, auf die mythologische Figur des Prometheus zurückgriff, um die von ihm entworfene Geschlechter- und Sexualordnung zu legitimieren. So zitierte Ulrichs, dessen Sexualtheorie im weiteren Verlauf des Beitrags noch ausführlich betrachtet wird, im Jahr 1870 eine aesopische Fabelgeschichte, in welcher der Titan Prometheus in angetrunkenem Zustand versehentlich Männer mit weiblichen Geschlechtsorganen und Frauen mit männlichen Genitalien versah, ein Umstand, der nicht ohne Folgen für die sexuelle Disposition dieser Kreaturen bleiben sollte: Die so entstandenen Mischwesen entzogen sich der mythologischen Erzählung zu Folge einer eindeutigen gegengeschlechtlichen sexuellen Attraktion und stellten auf diese Weise eine bemerkenswerte Variation von konventioneller Männlichkeit und Weiblichkeit dar. Ulrichs interpretierte die Existenz einer solchen mythologischen Erzählung als "einen werthvollen locus classicus, eine Bestätigung aus ältester Zeit” und schlussfolgerte, dass bereits die Zeitgenossen in der Antike wussten, dass "die Hand der schaffenden Natur, welche den Menschen schuf (mythologisch geredet: die Hand des Prometheus)” als Schöpferin einer Geschlechterordnung auftrat, die auch gleichgeschlechtlicher sexueller Attraktion Raum bot und zugleich alternative Männlichkeitskonstrukte hervorbrachte.