Als Gottfried Christoph Lichtenberg 1799 starb, war er der öffentlichen Meinung als angesehener Physiker und als viel bewunderter satirischer Schriftsteller bekannt, der allerdings mit dem Aufstieg der deutschen Literatur nicht habe Schritt halten können. Von dem Zeitpunkte aber an, da sein Bruder, bald nach Lichtenbergs Tode, aus dem Nachlaβ die Notizhefte herausgab, jene unausschöpfliche, Jahrzehnte hindurch fortgeführte Sammlung von Beobachtungen und Gedanken, von Wendungen und Einfällen, begann ihr Glanz, sein bei Lebzeiten veröffentlichtes Werk zu überstrahlen. Ihre Wirkung verstärkte sich langsam, aber stetig, und heute sind sie allein berühmt. Tiefsinnig in ihrer Toleranz, amüsant noch im schrulligen Eigensinn, voll von “Widersprüchen”, sind sie uns wert um ihrer selbst willen und als ein Spiegel ihrer Zeit mit seltsamen Brechungswinkeln. Der oft bemerkte angebliche Widerspruch zwischen angespanntem Rationalismus und der Hingabe an mystische Stimmungen ist nur eines der Probleme, die uns sein Werk aufgibt, und vielleicht nicht das bedeutendste.