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6 - Freud und die Tragödie

Published online by Cambridge University Press:  22 February 2023

Stephen D. Dowden
Affiliation:
Brandeis University, Massachusetts
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Summary

Vorbemerkungen

1

Die behauptung, in der Moderne könne es keine authentischen Tragödien mehr geben, verdankt sich zum einem Teil der Blindheit gegenüber dem Medium des Films. Hier floriert das Genre, und nicht bloß in depravierter Form. Zu einem anderen Teil jedoch liegt ihr eine zutreffende Intuition zugrunde. “Die Mehrzahl der Stücke, die wir als tragische Meisterwerke betrachten, sind nur Familiendebatten und -streitereien,” schreibt Jean Giraudoux. Wie aber könnte die kleine Welt der Familie noch beanspruchen, die tragenden gesellschaftlichen Konflikte einer globalen, hochkomplexen Welt mit offenen und sich permanent verschiebenen Rändern darzustellen? Es spricht einiges dafür, dass diese Welt “tragisch” verfasst ist, dass also den Antagonismen die sie bestimmen (zwischen den Klassen, zwischen technischer Rationalität und Natur) ein umfassendes Selbstzerstörungspotenzial innewohnt. Aber wie lässt sich das, was in den gewaltigen Rechenzentren der internationalen Börsen und in den Labors der naturwissenschaftlichen Spitzenforschung eher vollzogen als entschieden wird, auf die Leinwand—oder gar auf die Bühne bringen? Es ist verzweifelt schwierig.

Dieser Tendenz des tragischen Konflikts, in die unsichtbaren Untergründe des gesellschaftlichen Zusammenhangs fast spur los zu expandieren, steht eine zweite gegenüber. Es ist die einer psychologischen Verinnerlichung. Sie beginnt in der frühen Neuzeit—Hamlet dürfte einer ihrer ersten Exponenten sein—, hat aber in den ausufernden Psychopathologien des 20. Jahrhunderts einen massiven Auftrieb erfahren. Auch sie stellen die theatral (teilweise auch die filmische) Repräsentation vor erhebliche Schwierigkeiten: Die Tragödien spielen nicht mehr zwischen Personen, sondern innerhalb ihrer. Davon soll im folgenden die Rede sein.

2

Diese Überlegungen gelten nicht oder doch nur sehr am Rande der Frage, was Freud im Einzelnen zu den Tragödien gesagt hat, die ins theoretische Gebäude der Psychoanalyse formierend oder wenigstens illustrierend eingegangen sind, also insbesondere zu Ödipus und Hamlet. Dies alles ist seit langem bekannt und bedarf aus meiner Sicht keiner besonderen Erörterung. Ebenfalls keine Rolle werden die Reflexionen spielen, die Freud der Tragödie insgesamt als einer verschobenenen Wiederholung des Urvatermords gewidmet hat. Diese finden sich ja vor allem am Ende von Totem und Tabu und sind gleichfalls für die Erörterungen, die ich mir hier vorgenommen habe, entbehrlich.

Diese beschäftigen sich stattdessen mit Fragen wie den folgenden: Gibt es zwischem dem tragischen Prozess und dem psychogenetischen Prozess, den die Psychoanalyse theoretisch beschreibt und vom dem sie selber als Therapie einen Teil bildet, irgendwelche Analogien?

Type
Chapter
Information
Publisher: Boydell & Brewer
Print publication year: 2014

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