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Büchner und Trakl: Zum Problem der Anspielungen im Werk Trakls

Published online by Cambridge University Press:  01 December 2020

Rudolf Dirk Schier*
Affiliation:
University of Illinois, Baden, Austria

Abstract

The fact that Georg Trakl's poetry frequently contains allusions to Hölderlin, Rimbaud, the Bible, and to various additional authors is well known. The presence of Büchner's Lenz and of some other texts in Traum und Umnachtung has, however, not yet been recognized. Some twenty-two specific passages from Lenz, adapted and modified in various ways, occur in the second section of Traum und Umnachtung. In addition, Trakl paraphrases texts by Nietzsche in the first section and cites Hölderlin in the third; the last section comprises most of the major themes from Trakl's own work. The concentration of allusions to a specific author in single sections of Traum und Umnachtung suggests that Trakl's use of citations is conscious. Such a recognition does not involve an “intentional fallacy”: the author's intention, in incorporating allusions and quotations into his work, is comparable to his intention in choosing a certain kind of form. Both citations and forms can be identified with the proper training: a work of literature containing conscious allusions (Zitatendichtung)must be treated as a literary form in its own right, in which even simple, apparently descriptive phrases no longer refer to objects or experiences, but to the tradition of poetic language. (In German)

Type
Research Article
Information
PMLA , Volume 87 , Issue 5 , October 1972 , pp. 1052 - 1064
Copyright
Copyright © Modern Language Association of America, 1972

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References

1 “Trakl und Rimbaud,” Klingsor, 2 (1925), 93–96.

2 Herbert Lindenberger, “Georg Trakl and Rimbaud: A Study in Influence and Development,” CL, 10 (1958), 21–35; Friedhelm Pamp, “Der Einfluß Rimbauds auf Georg Trakl,” RLC, 32 (1958), 396–406; Otto Basil, “Trakls Vorläufer und Nachläufer,” WZ, 5 (Okt. 1959). 311 ; Reinhold Grimm, “Georg Trakls Verhältnis zu Rimbaud,” GRM. 9 (1959), 288–315; Bernhard Böschenstein, “Wirkungen des französischen Symbolismus auf die deutsche Lyrik der Jahrhundertwende,” Euphorion, 58 (1964), 386–95.

3 Erwähnt wird der Einfluß Holderlins u.a. an folgenden Stellen: Ernst Bayerthal, Georg Trakls Lyrik: Analytische Untersuclumg (Mainz: Lehrlingshaus, 1926); Eduard Lachmann, “Trakl und Holderlin: Eine Deutuug,” in: Georg Trakl, Nachlaß und Biographie, Hrsg. Wolfgang Schneditz (Salzburg: Otto Millier, 1949), S. 163–212; Emil Barth, Georg Trakl (Krefeld: Scherpe-Verlag, 1948), S. 21–32; Ernst Kossat, Wesen und Aufbuuformen der Lyrik Georg Trakls, Dichtung, Wort und Sprache, iii (Hamburg: Hansischer Gildenverlag, 1939), S. 74–76; T[imothy] J. Casey, Manshape that Shone: An Interpretation of Trakl (Oxford: Basil Blackwell, 1964), S. 111–12; Theod[or] Spoerri, Georg Trakl (Bern: Francke, 1954), S. 55–58; Ludwiz Dietz, Die lyrische Form Georg Trakls, Trakl-Studien, v (Salzburg: Otto Müllier, 1959), S. 113–16; Regine Blass, Die Dichtung Georg Trakls, Philologische Studien und Quellen, Heft 43 (Berlin: Erich Schmidt, 1968), S. 137, Anm. 21; Theodore Fiedler, “Trakl and Hoelderlin: A Study in Influence,” Diss. Washington Univ. 1969.

4 “Aullösung und Verdinglichung in den Gedichten Georg Trakls,” in: Immanente Äslhetik—Ästhetische Reflexion: Lyrik als Paradigma der Moderne, Kolloquium Köln, 1964: Vorlagen und Verhandlungen, Hrsg. Wolfgang Iser (Munchen: W. Fink, 1966), S. 227–61. Regine Blass, a.a.0., führt auch einige frühe Anspielungen auf Goethe, Nietzsche, Shakespeare, Maeterlinck und Schnitzler an.

5 Wir zitieren Lenz nach Georg Büchner, Werke und Briefe, Hrsg. Fritz Bergemann, neue, durchgesehene Ausgabe (Wiesbaden: lnsel, 1958), S. 83–111; die Seitenzahlen werden in unserem Text jeweils in Klammern angeführt. Die Ausgabe Bergemanns ist wissenschaftlich allerdings nicht so verläßlich wie Säimtliche Werke und Briefe, Historisch-Kritische Ausgabe mit Kommentar, Hrsg. Werner R. Lehmann, Bd. i (Hamburg: Wegner, 1968), worin auch der Text von Oberlins Tagebuchauf-zeichnungen enthalten ist. (Vgl. “Klassikerausgaben kritisch betrachtet”: Walter Hinderer, “Der Dichter der Revolution: Georg Büchner—und endlich eine Ausgabe, die alien Ansprüchen standhält,” Die Zeit, 21. Nov. 1969, S. LIT 7–8.) Wir zitieren dennoch die Ausgabe Bergemanns, weil sie dem uns leider noch unbekannten Text Büchners, den Trakl besaß, am nächsten kommen dürfte.

6 Wir zitieren nach Georg Trakl, Dichtungen und Briefe, Historisch-Kritische Ausgabe, Hrsg. Walther Killy und Hans Szklenar, 2 Bande (Salzburg: Otto Millier, 1969). Traum und Umnachtung befindet sich in Bd. i, S. 145–50; die in unserem Text in Klammern angefuhrten Zeilen-angaben beziehen sich auf diese Ausgabe.

7 Zwei einfache Beispiele aus dem “Gesang des Ab-geschiedenen” (i. 144) mögen genügen. Sowohl der Satzteii “daß er rune von dorniger Wandeischaft” (Z. 12), der zurückgeht auf Ammers “Jesus geht auf purpurnen Dornen” (Animer, a.a.0.. S. 193; vgl. Grimm, a.a.O., S. 292), als auch die Zeile “Und der Frieden des Mahls; denn geheiligt ist Brot und Wein” (Z. 10), die Hölderlins Elegie evoziert, eröffnen biblische Perspektiven, die besonders im ersten Beispiel sonst nicht oline weiteres ersichtlich Wären.

8 Vgl. H. P. Pütz, “Büchners ‘Lenz’ und seine Quelle: Bericht und Erzählung,” ZDP, 84 (1965), Sonderheft, S. 1–22, und Herbert Thiele, “Georg Büchners ‘Lenz’ als sprachliches Kunstwerk: Gedanken zu einer Behandlung in der Prima,” DU, 8, No. 3 (1956), 59–70.

9 Pütz, S. 21, weist zusarnmenfassend auf die von BiAchner durch Wiederholungen, Bilder und Verweisungen neu eingefügten, inneren Zusammenhànge und Verbindun-gen hin.

10 Zur Erzahlperspektive in Lenz vgl. die von der unsrigen leicht abweichenden Darstellungen von Gerhart Baumanu, Georg Büchner (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1961), S. 125, und Benno von Wiese, Die deutsche Nooelle von Goethe bis Kafka, ii (Düsseldorf: A. Bagel Verlag, 1964), 111 und 118.

11 Z. B. Erwin Mahrholdt, “Der Mensch und Dichter Georg Trakl,” in: Erinnerung an Georg Trakl, 3., erw. Aufl. Hrsg. Hans Szklenar (Salzburg: Otto Millier, 1966), S. 21–90, und Otto Basil, Georg Trakl in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowohlts Bildmonographie Nr. 106 (Reinbek: Rowohlt, 1965). Eine genaue Aufzählung der Stellen, in denen sich Mahrholdt und Basil auf Traum und Umnachtung stüitzen, befindet sich bei Herbert Lindenberger, “Georg Trakl's ‘Traum und Umnachtung,‘” in: Festschrift für Bernhard Blume, Hrsg. Egon Schwarz, Hunter Hannum und Edgar Lohner (Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1967), S. 258–70, Anm. 10.

12 Regine Blass, a.a.0., S. 139–40, Anm. 22, hat über-zeugend dargestellt, daß Trakl am ehesten die folgende Höiderlin-Ausgabe zur Hand gehabt haben dürfte: Gesammelte Werke, Hrsg. Wilhelm Böhm, 1. Aufl., 3 Bande (Jena: Eugen Diederichs, 1905). “Abendphantasie” befindet sich in Bd. ii, Hrsg. Paul Ernst, S. 200–01 ; wir zitieren diesen Text.

13 Die Nietzsche-Ausgabe, die Trakl verwendet haben konnte, ist uns leider nicht bekannt. Die im Text angege-benen Seitenzahlen beziehen sich auf Friedrich Nietzsche, Werke in 3 Bdnden, Hrsg. Karl Schlechta (München: Carl Hanser, 1954–56).

14 Traum und Orpheus, Trakl-Studien, ii (Salzburg: Otto Müller, 1959), S. 21–22.

15 W. K. Wimsatt, Jr., und Monroe C. Beardsley, “The Intentional Fallacy,” SR, 54 (1946), 468–88; wieder-abgedruckt in The Verba! Icon (Lexington: Univ. of Kentucky Press, 1954), S. 3–18.

16 Vgl. Herman Meyer, Das Zitat in der Erzählkunst: Zur Geschichte und Poetik des europäischen Romans, 2. Aufl. (Stuttgart: Metzler, 1967). Meyer beschränkt seine Untersuchung allerdings auf die “wortlautliche Anführung” (S. 15) und schließt die “Entlehnung,” die “keine Bereicherung des Sinnes und keinen ästhetischen Mehrwert” bewirke, aus (S. 13–14). Das mag im Roman der Fall sein, für die Lyrik trifft dies sicherlich nicht zu. Letzteres zeigt auch die Studie von Albrecht Schöne, Säkularisation als sprachbildende Kraft, Palaestra Band 226 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1958), in der nicht nur direkte Zitate, sondern auch Anlehnungen, die ihren Ursprung in der Bibel haben, in Werken von Gryphius, Lenz, Gotthelf, Burger und Benn ausgewertet werden.

17 Z. B. Hans Konrad Neidhardt, Georg Trakls “Helian” (Schleitheim: J. G. Stamms Erben, 1957), und Walter Falk, Leid und Verwandlung, Trakl-Studien, vi (Salzburg: Otto Müller, 1961).

18 Im Gegensatz zu Mahrholdt und Basil (Vgl. Anm. 11) unterscheidet Lindenberger zwischen der unmittelbaren Verwendung einer Dichtung für biographische Zwecke, eine Verfahrensweise, die er mehr oder weniger ablehnt—er schreibt allerdings lediglrch, daß Traum und Umnachung nur sehr begrenzt als biographische Quelle zu verwenden sei—und der umgekehrten Verfahrensweise, in der die Biographie zum Verständnis einer Dichtung herangezogen werde, die er nicht verurteilt. Obwohl es selbstverständlich nicht möglich ist, die Grenzen ganz genau zu Ziehen (vgl. Wimsatt und Beardsley, S. 10–11), so können wir auf Grund unserer Ausführungen doch noch etwas präziser differenzieren: Die Vorbildung, die erforderlich ist, biographische Anspielungen zu entdecken, ist nicht gleichzustellen mit der Vorbildung, die notwendig ist, ein Sonett oder eine literarische Anspielung zu erkennen. Im ersten Fall handelt es sich um privates Wissen—und bei Trakl meist um Vermutungen, die ihrerseits wieder auf Stellen in den Dichtungen beruhen—im zweiten Fall jedoch um offentliches Wissen im Bereich der Tradition der Sprache.