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Eichendorffs Blick In Die Geschichte

Published online by Cambridge University Press:  02 December 2020

Von Oskar Seidlin*
Affiliation:
Ohio State University, Columbus 10

Extract

Die feststellung, daß die beiden großen historischen Dramen Eichendorffs, Ezelin von Romano und Der letzte Held von Marienburg, zusammen mit den späten Versepen zu der verwittertsten Schicht seines Dichtwerkes gehören, ist bereits eine Beschönigung. Lebendig waren sie nie, und dem heutigen Leser scheint ihr stereotypes Waffengeklirr, ihre vordergründige Redseligkeit, ihr Flickwerk aus Shakes-peareschen, Schillerschen und Goetheschen Reminiszenzen mit einem Rost überzogen, der sie gerade dort am brüchigsten macht, wo er am “edelsten” aufliegt. Daß ein so im Innersten lyrischer Dichter wie Eichendorff sich überhaupt der großen dramatischen Form zuwendet, mag an sich schon überraschen; und der Hinweis auf Brentano, selbst auf Arnim und Tieck als Parallelfälle ist kaum geeignet, unser Erstaunen zu mindern. Sie nämlich hatten sich in der Gründung Prags und im Kaiser Octavianus das Historische in Märchen und Mythe übersetzt, die durch das lyrische Idiom Geheimnis und Weihe empfingen, abgekehrt jeder Zur-Schau-Stellung, dem Theater also, oder doch gerichtet auf eines, das, wie Arnim in einem Brief an Goethe bekannte, “nirgends vorhanden ist”. Eichendorff aber drängte es zur Geschichte, sichtbar aufgerollt als Bühnenhandlung, und so konnte das mißliche Resultat nicht ausbleiben, daß sein Eigentliches, Symbolmagie und -beschwörung durch das Poetische, als Uneigentliches in das Werk einging, Dekoration nur, die sich unverbindlich dem Historischen überwölbt, oder brüchiger Boden, durch den es ins Unprofilierte versickert.

Type
Research Article
Information
PMLA , Volume 77 , Issue 5 , December 1962 , pp. 544 - 560
Copyright
Copyright © Modern Language Association of America, 1962

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References

Note 1 in page 544 Ezelin von Romano, 1828 im Druck erschienen, wurde erst 1943 am Görlitzer Theater in einer Bearbeitung des dortigen Hausdramaturgen uraufgeführt, ohne daß diese schlesisch-patriotische Geste irgendwo Nachfolge gefunden hätte. Auf der Ebene rein provinzieller Belange bewegt sich auch die Bühnengeschichte von Der letzte Held von Marienburg. Im Jahre nach der Drucklegung wurde das Trauerspiel zur Eröffnung des preußischen Landtags von 1831 in Königsberg aufgeführt und verschwand nach einer einmaligen Vorstellung wieder vom Spielplan. Der Berichterstatter der Neuen Preußischen Provinzialblätter (x, 180) will diesen Mißerfolg der “sehr mangelhaften Darstellung” zur Last legen. Aber einem Versuch in Breslau aus Anlaß von Eichendorffs 50. Todestag (1907) war dasselbe Los beschieden, und kein glücklicheres einer dritten Aufführung in Kattowitz im Zweiten Weltkrieg. (Die letzte Auskunft verdanke ich Herrn Alfons Hayduk, der das Stück für die Kattowitzer Aufführung dramaturgisch bearbeitete).

Note 2 in page 544 Über die Quellen, die Eichendorff benutzt hat, vgl. die Einleitung von Ewald Reinhard zum vi. Band der Kritisch-Historischen Ausgabe (Regensburg, 1950) und Julius Erdmann, Eichendorfs historische Trauerspiele (Halle a.S., 1908), der das Verhältnis der beiden Dramen zu ihren historischen Vorlagen und literarischen Vorbildern überprüft, wobei er freilich in alter Dissertationsmanier neben Verläßlichem auch einiges willkürlich Aufgelesene zusammenträgt. Den Quellen für Ezelin von Romano fügt Lorenzo Bianchi noch Albertino Mussatos Ecerinis-Tragödie zu (Zeitschrift für deutsche Philologie, lxiv, 40 ff.), auf die freilich schon dreißig Jahre vorher Otto Schiff in der Zeilschrift für vergleichende Literaturgeschichte, xii, 317 ff. nachdrücklich hingewiesen hatte.

Note 3 in page 544 Vgl. hierzu Friedrich Sengles Ausführungen über den romantischen Zeitabschnitt in Das deutsche Geschichtsdrama (Stuttgart, 1952), S.51 ff., vor allem das über Brentano Gesagte. Mit Eichendorff befassen sich S.73-76.

Note 4 in page 544 Um Eichendorffs Geschichtsbild und nicht um seine politischen und sozial-politischen Anschauungen will sich der vorliegende Aufsatz bemühen, wenn freilich auch die enge Verkettung der beiden Bereiche eine säuberliche Scheidung ebenso unmöglich wie unerwünscht macht. Über den Politiker Eichendorff ist so eingehend gehandelt worden, daß Neues kaum beizutragen ist, am schlüssigsten immer noch in den auf den Dichter bezüglichen Ausführungen von Paul Kluck-hohn, Persönlichkeit und Gemeinschaft (Halle a.S., 1925), vor allem S.82 ff. Aus einer unübersehbaren Fülle seien noch erwähnt desselben Autors Das Ideengut der Romantik (Halle a.S., 1942); Erika Jansens Ahnung und Gegenwart im Werke Eichendorffs (Gießen, 1937), vor allem S.36-87; Reinhold Schneider, “Eichendorffs Weltgefühl” in dem Sammelband Dämonie und Verklärung (Vaduz, 1947), S. 295 ff.; und Friedrich Heer, “Die Botschaft eines Lebenden” in dem Band Eichendorf heute (München, 1960), hgg. von Paul Stöcklein, S. 66 ff. Heer freilich ist so eifrig bemüht, Eichendorff einem Nachkriegs-Linkskatholizismus anzugleichen, daß des Verfassers föderalistischer Austriazismus und anti-preußisches Ressentiment pauschal auf den Dichter übertragen werden und Eichendorff sich—wie überrascht wäre er doch!— mit seiner Zeitkritik bisweilen in der Gesellschaft Heines und des jungen Marx findet.

Note 5 in page 545 Dem scheint zu widersprechen, daß eines der Versepen, Julian, eine im eigentlichen Sinne historische Figur, den Apostatenkaiser, in den Mittelpunkt stellt, und auch Lucius Momente aus der Geschichte des römischen Kaiserreiches festhält. Aber Julian ist so ausschließlich auf die Frage Christentum: Heidentum ausgerichtet, daß allem Historischen sein Eigenwert genommen ist und die Geschichte (im doppelten Sinn) sich zur Parabel verflüchtigt. Sie steht im Grunde einer so paradigmatischen Erzählung wie dem Marmorbild näher als den historischen Dramen.

Note 6 in page 545 Alle Seitenangaben beziehen sich auf die vierbändige Eichendorff-Ausgabe des Cotta-Verlages (Stuttgart, 1957/ 58), Bd. i: Gedichte Epen Dramen, Bd. ii: Romane Novellen Märchen, Bd. iv: Vermischte Schriften.

Note 7 in page 545 So Erdmann, a.a.O., S. 114. Auch Sengle, a.a.O., S. 74 weist betont auf die Napoleon-Parallele hin.

Note 8 in page 545 Es wird dem aufmerksamen Leser nicht entgehen, wie sehr in diesem Selbstgespräch Ezelins die Emanzipation des eigenen Ich den dichterischen Ausdruck bestimmt: “ich fühl's — ich bin's”, mit dem schweren Tonakzent auf dem wiederholten persönlichen Fürwort. Dagegen steht an der zitierten Stelle, in der sich Ezelin noch als Vogt und Statthalter bekennt, das “ich” durchgehend in unbetonter Position.

Note 9 in page 546 Es ist nicht ersichtlich, wie Eichendorff auf diese Schreibweise des Namens verfallen ist. Seine Hauptquelle, Friedrich von Raumers Geschichte der Hohenstaufen, jedenfalls die 5 Aufl. bietet die korrekte Form Palavicini (Leipzig, 1878, iv, 251).

Note 10 in page 547 Von 1821 bis 1831 wirkte Eichendorff im Oberpräsidium von Ost- und Westpreußen, seit 1824 in enger Zusammenarbeit mit dem Oberpräsidenten der Provinzen, Theodor von Schön, der von 1816 bis zur Vollendung des Werkes im Jahre 1842 die unermüdlich treibende Kraft hinter dem Restaurationsplan der Marienburg gewesen ist.

Note 11 in page 547 Meine Interpretation des Letzten Helden geht auf Wegen, die von denen der üblichen Eichendorff-Deutung grundsätzlich abweichen. Dort wird das Zwielichthafte des “Meistertums” nicht erkannt, und Heinrich von Plauen erscheint als eine ideale Lichtgestalt, Vor- und Sinnbild höchsten Rittertums, dessen Fall einzig von den Widerständen einer selbstischen, allem göttlichen Anspruch verschlossenen Welt bedingt ist und nicht auch von eigener tragischer Schuld. Daß eine Deutung wie die Otto Demuths, die, wohl nicht von ungefähr im Jahre 1938, aus “Eichendorffs Letzter Held von Marienburg eine Führertragödie” machen wollte (Aurora, viii, 36ff.), abzuweisen ist, bedarf keines weiteren Wortes. Aber auch andere, finsteren politischen Zeitströmungen nicht tributpflichtige Autoren sehen in Heinrich von Plauen vor allem “das Gegenbild zur Gestalt des Ezelin,” so jüngst noch Gerhard Möbus, Der andere Eichendorff (Osnabrück, 1960), S.146, obwohl seine Bemerkung, “daß er (Plauen) mehr gewollt hat, als dem Menschen in der Geschichte zugemessen ist,” doch auf eine Hybris deutet, die Plauen ebensosehr zu einer Parallelfigur wie zum Gegenbild Ezelins macht. Undeutlich auch bleibt das Urteil, das Reinhold Schneider über den Marienburg-Helden fällt (Eichendorff, die Sendung des christlichen Ritters, Aschaffenburg, 1949, S.10); denn ob seine Feststellung: “Selbstsucht verdirbt den letzten,” sich nur auf das eigennützige Intrigenspiel der Gegner oder vielleicht doch auch auf den Helden selbst bezieht, bleibt im Dunkel.

Note 12 in page 548 So i, 669, 700, 722, 778, 798, 799. Die letztbezeichnete Stelle ist Bosos Nachruf auf den toten Ezelin: “So fahr denn ewig wohl, du hoher Meister!” Gerade hier wird das Zwielicht, von dem das Wort bei Eichendorff umwittert ist, besonders augenfällig. Was könnte das hohe Meistertum, mit dem Boso dem endgültig überwundenen Feind die letzte Ehre erweist und das schon durch die Wortprägung deutlich die Brücke zu Heinrich von Plauen schlägt, anderes sein als dessen Wille zur rücksichtslosen Selbstdurchsetzung, die den gläubigen und edelgesinnten Jugendfreund von ihm fort und in das Lager der Gegner getrieben hatte?

Note 13 in page 547 Otto Schiff (a.a.O.) weist darauf hin, daß sich hinter dem Mönch Antonio St. Antonius von Padua verbirgt. Daß der Heilige und Ezelin sich wirklich begegnet sind, wenn freilich auch bei diesem Zusammentreffen der Auftrag des Franziskaners an den Tyrannen ganz andrer Art war als der in Eichendorffs Trauerspiel, mag dem Dichter aus seiner Lektüre von Albertino Mussatos Ecerinis bekannt gewesen sein.

Note 14 in page 547 Es ist sicher nicht bedeutungslos, daß an dieser entscheidenden Stelle in der Wendung “Staub vom Staub” ein wörtlicher Anklang an die Geschichte von Adams Fall hörbar wird (l. Mose, 3, 19).

Note 15 in page 549 Vgl. meine Aufsätze “Eichendorff's Symbolic Landscape,” PMLA, lxxii, 645ff. und “Eichendorffs zeitliche Perspektiven,” Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, xxxiv, 402ff.

Note 16 in page 551 Eine vorzügliche, alle Schattierungen dieses Geschichtsbewußtseins wiedergebende Darstellung bietet Wilhelm Emrichs Aufsatz, “Begriff und Symbolik der ‘Urgeschichte’ in der romantischen Dichtung”, jetzt in seinem Essay-Band Protest und Verheißung (Frankfurt/Bonn, 1960), S.25ff.

Note 17 in page 551 Die beste, reichst belegte Entfaltung der philosophischen Grundlagen dieser Epoche ist immer noch das ursprünglich 1919 erschienene Buch von Erich Rothacker, Einleitung in die Geisteswissenschaften (2. Aufl. Tübingen, 1930). In unserem Zusammenhang sind vor allem die ersten drei Kapitel, “Hegel und die Geisteswissenschaften”, “Die historische Schule”, “Hegel und die historische Schule”, von höchster Bedeutung.

Note 18 in page 551 Ebda, S.62f.

Note 19 in page 551 Zitiert ebda, S.65.

Note 20 in page 552 Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, daß sich Eichendorff mit seiner Schiller-Interpretation ganz in den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts bewegt. Gerade in unsrer Zeit ist der anti-idealistische, der “existentialistische” Schiller in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt worden, so etwa von Ludwig Kahn, “Freedom: An Existentialist and an Idealist View,” PMLA, lxiv, 5ff, und vor allem von Käte Hamburger in ihren wegweisenden Aufsätzen, “Schiller und Sartre,” (Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft, iii, 34ff.) und “Zum Problem des Idealismus bei Schiller” (ebda, iv, 60ff.). Auch meine Arbeit, “Schiller: Poet of Politics” in A Schiller Symposium (Austin, Texas, 1960, S.31ff.; jetzt auch in meinem Sammelband Essays in German and Comparative Literature, Univ. of North Carolina Press, 1961, S.92ff.) bewegt sich in ähnlicher Richtung.

Note 21 in page 552 Der gleiche Gedanke mit dem wörtlichen Schiller-Zitat über die Geschichte als reines Stoffmagazin auch in der Geschichte der neueren romantischen Poesie (iv, 466).

Note 22 in page 553 Noch schärfer formuliert in seiner Geschichte des Dramas (iv, 602). — Gerhard Möbus, der einen großen Teil seines Büchleins (a.a.O.) mit dem Nachweis von “Beeinflussungen” und Parallelen füllt, schweigt über dieses kritische Abrücken Eichendorffs von Novalis, obwohl er das ganze zweite Kapitel dem Verhältnis der beiden Dichter widmet.

Note 23 in page 553 Hier etwa zeigt sich, wie wenig damit getan ist, “Parallelen” festzustellen und es dabei bewenden zu lassen. Diese besondere Liebeskonstellation mag, wie Erdmann (a.a.O.) behauptet, nach dem Modell der Schillerschen Jungfrau von Orleans gebildet sein, zumal die Eichendorffschen Mädchenfiguren sich auch in Rüstung und Waffen in die Schlacht stürzen. Aber der Sinngehalt dieser Parallelen bewegt sich in genau umgekehrter Richtung. Johannas Liebe zu Lionel bezeichnet ihren Rückfall in die Kreatürlichkeit, die Anfälligkeit für den “Feind,” während Violantes und Romintas Liebe zum Feind gerade das Herauswachsen aus der nur organisch-kreatürlichen Verhaftung bedeutet.

Note 24 in page 553 In einem seiner nur skizzierten dramatischen Entwürfe, “Die sizilianische Vesper,” erscheint die gleiche Konstellation, die Liebe der Gouverneurstochter zu dem Piraten Friedrich Lancia (vgl. Ewald Reinhard, Eichendorffstudien, Münster, 1908, S.71).

Note 25 in page 554 Selbst diese so künstlich und erfunden anmutende Orakelverwirrung hat Eichendorff aus seiner Quelle übernommen (vgl. Raumer, a.a.O., S.259). Daß Ezelin ein Adept der Astrologie war, belegt auch Ernst Kantorowicz in Kaiser Friedrich der Zweite (Berlin, 1931), S.560.

Note 26 in page 554 Wie wenig äußerliche Parallelen das Verständnis fördern, zeigt sich auch hier wieder. So wird darauf hingewiesen (Erdmann, a.a.O., und Reinhard in seinem Vorwort zu Bd. vi der Kritisch-Historischen Ausgabe, S.11), daß die Ugolin-Stellen eine Reminiszenz an Schillers Wallenstein darstellen, “daß Ezelin gleich dem Helden des Schillerschen Dramas an Sterne glaubt”. Aber gerade den historisch belegten Sternenglauben Ezelins hat Eichendorff nicht übernommen, sondern ihn aufschlußreich umgewandelt: nicht kühle Kalkulation eines Willens, der in Konfigurationen “oben” am Himmelszelt abgelesen werden kann, sondern ein paroxystisches Stammeln von Wissen, das aus dem mütterlichen Urgrund heraufsteigt. Ugolin ist weit davon entfernt, ein Himmelsmathematiker zu sein; er ist ein rauschhaft Verzückter, viel eher Pythia als Seni.

Note 27 in page 554 Selbst ein so gewichtiger Deutungsversuch wie der von Josef Kunz (Eichendorff, Höhepunkt und Krise der Spätromantik, Oberursel 1951), der eingangs verspricht, die “allseits spürbaren Spannungen zu erfassen und ihnen gerecht zu werden” (S.7), verfällt immer wieder der Gefahr, ein Versagen und einen Bruch zu konstatieren, wo es sich um echte Spannung handelt, so etwa wenn er erklärt, daß Eichendorffs Bindung an Dämonie und Magie des vegetativ Organischen ihm den Weg in “die Mündigkeit und Freiheit zu verantwortlicher Existenz” verstellt (S.156). Umgekehrt wieder glaubt Rudolf Ibel (Weltschau deutscher Dichter, Hamburg, 1948, S.152ff.), daß Eichendorffs Entscheidung für das undämonische Reich Christi als eine nur bewußte und wil-lensmäßige

seiner wesensmäßigen Verfallenheit an den dämonischen Zauber der Natur im Wege stehe und ihn darum in sich schwankend mache. Friedrich Heer (a.a.O., S.67) erklärt von allem Anfang an, “Eichendorff selbst aber ist kein Romantiker” und “rettet” ihn damit, erschreckt von den wüsten Pervertierungen eines wild-gewordenen Vitalismus in unserem Jahrhundert, so gründlich von der Bedrohung durch das Magische und Dämonische, daß von der fruchtbaren dialektischen Spannung wenig übrig bleibt. (Dabei gehören freilich die Ausführungen, die Heer unter der Überschrift “Dichter und Dämon” bietet, zu dem Schönsten, was jüngst über Eichendorff geschrieben wurde.) Er verpflichtet ihn zuerst einmal einseitig und ausschließlich auf das “heiter-strenge”, gegen alles Introvertierte gerichtete Christentum des großen Wiener Erweckers Clemens Maria Hofbauer, den er darum auch zu seinem “Führer und väterlichen Freund” (S.98) erhebt, um den Dichter auf diesem Umweg ganz in den österreichischen Geistesraum zu rücken. Dabei scheint mir die enge Verbindung zwischen dem Dichter und dem österreichischen Redemptoristenpater nicht belegbar und immer nur indirekt erschlossen. In Eichendorffs Tagebüchern, die seine Wiener Zeit bis zum März 1812 festhalten (es fehlt freilich sein letztes Wiener Jahr bis zu seinem Eintritt in die preußische Armee), erscheint Hofbauers Name nicht ein einziges Mal. Daß Hofbauer bei der Abschiedsfeier für den Kriegsfreiwilligen im Hause Friedrich Schlegels zugegen war, ist belegt (vgl. Moriz Enzinger, “Eichendorff in Wien,” Aurora, 1957, S.69), aber so weit ich sehen kann, wird der Name des österreichischen Paters in Eichendorffs gesamtem Werk ein einziges Mal nur erwähnt, in seiner Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands (iv, 314), und da ist er überdies —in der von mir benutzten Ausgabe jedenfalls —falsch geschrieben. (Die nichtgedruckte Wiener Dissertation von Gertrud Pulicar “Eichendorff in Wien” (1944), die eine gründliche Untersuchung der Beziehungen Eichendorffs zu Hofbauer zu enthalten scheint, war mir leider nicht zugänglich.)

Note 28 in page 555 Aufgezeigt ist diese Spannung ohne Entwertung der gegenströmigen Positionen in einigen Eichendorff-Arbeiten Paul Stöckleins, etwa dem Aufsatz “Eichendorffs Persönlichkeit” (in Eichendorff heute, S.242ff.) und vor allem von Wilhelm Emrich, “Dichtung und Gesellschaft” (jetzt in Protest und Verheißung, S.104ff.).

Note 29 in page 556 Die symbolische Bedeutung dieses Sterbens wird wohl auch dadurch nicht gemindert, daß Eichendorff das Faktum aus der Raumerschen Quelle bezogen hat.

Note 30 in page 556 Vgl. Rothacker, a.a.O., S.74ff. — Eichendorff kennt den Vorwurf des Quietismus gegen die Romantiker sehr wohl, aber er weist ihn mit Hinblick auf die Befreiungskriege entschieden zurück (iv, 449).

Note 31 in page 557 Eichendorffs Quelle gibt an, daß der entscheidende Gegner, der Ezelin zu Fall bringt, der Erzbischof von Ravenna an der Spitze eines päpstlichen Heeres gewesen sei. Sengle (a.a.O., S.73) glaubt, Eichendorff habe die Fronten verschoben, weil auf ihn, den strengen Katholiken, ein direkter militärischer Eingriff der geistlichen Macht peinlich gewirkt haben müsse. Ich glaube hingegen, diese Abweichung von den historischen Tatsachen ist dadurch bedingt, daß Eichendorff das Bild eines Kreuzzuges treu erfüllen wollte. Zum Kreuzzug aber ruft der Papst die weltliche Macht auf —so wie es in Eichendorffs Drama denn auch durch des Mönchs Bannverkündigung und Aufruf zur Kreuzesnahme geschieht (i, 750f.)— und läßt sie ihn mit seiner Weihe führen. Nur so, und nicht durch das Eingreifen der geistlichen Macht als einer irdisch territorialen, konnte das Kreuzesschwert voll in Erscheinung treten.

Note 32 in page 558 Schon der ganz frühe Eichendorff wird, wenn er sich dem historischen Drama, dem Drama der Historie nähert, zum Interregnum gezogen. Wahrscheinlich aus den Jahren 1808–12 stammt der Plan zu einem Konradin-Drama (vgl. Carl H. Wegener, “Ein historisches Dramenfragment des jungen Eichendorff,” Eichendorff Kalender, ii, 42ff.)

Note 33 in page 559 Es ist schwer zu verstehen, wie bei seinen eindringlichen und häufigen Treuebekenntnissen zu dem preußischen Schwarz-Weiß Eichendorff als anti-preußischer Kronzeuge aufgerufen werden kann (vgl. Fn.4). Das einzig handgreifliche Indiz für eine solche Haltung, der Brief an Görres vom 30.viii.1828 (Krit.-Hist. Ausg. xii, 29ff) mit seiner Klage über die “preußische Wirtschaft” und seiner Hoffnung auf eine staatliche Anstellung im katholischen Bayern kann nur als Zeugnis einer momentanen Verärgerung gewertet werden. Er fällt in seine Königsberger Jahre, in denen er in Theodor von Schön einen ideal verständnisvollen Vorgesetzten und lebenslänglichen Freund und Förderer gefunden hatte. So ist auch der in dem Brief enthaltene Verdacht, die preußische Prüfungskommission habe ihm, dem Katholiken, im Jahre 1818 mit ihrer Dissertationsfrage über Die Aufhebung der geistlichen Landeshoheit und die Einziehung des Stifts- und Klostergutes in Deutschland eine Falle stellen wollen, nicht, wie es geschieht, als bare Münze zu nehmen. Wie reimte sich eine solche Mutmaßung damit, daß Eichendorff bereits sechs Monate nach dem Staatsexamen, für das er die verfängliche Frage offenherzig von seinem, dem katholischen Standpunkt aus beantwortet hatte, als Hilfsarbeiter im Berliner Kultusministerium eingestellt wurde, daß er ein knappes Halbjahr später seine vollamtliche Bestallung in Danzig erhielt und neun Monate darauf zum Regierungsrat ernannt wurde? Das sieht kaum danach aus, als hätte man ihn in seiner Laufbahn als Staatsbeamter zu Fall bringen wollen.

Note 34 in page 559 Dieselbe nüchterne und unsentimentale Feststellung: “Der Orden hatte längst seine Aufgabe ritterlich gelöst” in Wiederherstellung der Marienburg (iv, 982).

Note 35 in page 560 Bezeichnenderweise stuft Eichendorff in seiner Geschichte des Dramas Shakespeare in das Kapitel “Das christliche Drama” ein, also in die Nachbarschaft der mittelalterlichen geistlichen Spiele und des spanischen Theaters eines Calderón und Lope de Vega.

Note 36 in page 560 Sicher steht bei solchen Formulierungen auch die christliche Vorstellung der göttlichen Offenbarungsbücher im Hintergrund, also neben der Bibel und dem Buch der Natur das Buch der Weltgeschichte.