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12 - Das Gespenst der Armut: “Das Bettelweib von Locarno” — Zwischen traditioneller christlicher, kantisch aufgeklärter und moderner marxistischer Auffassung

Published online by Cambridge University Press:  14 February 2023

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Summary

Wenn Man Sich Erinnert, wo diese Erzählung zuerst erschienen ist, könnte man der Auffassung sein, dass Kleist hier als Herausgeber eines damals modernen Mediums das erreichen wollte, wovon er aus eigener Erfahrung glaubte, es würde ihm Leser und Käufer seiner Zeitung bescheren. Die Berliner Abendblätter waren sein zweiter Versuch, sich als Herausgeber einer Zeitung/Zeitschrift zu betätigen; der erste, literarisch anspruchsvoll, war gescheitert. Nun sollte dieser Versuch ihm endlich ein Einkommen als Schriftsteller besorgen, auch wenn er früher einmal behauptet hat, er würde auf keinen Fall für Geld schreiben. Aber die Zeiten haben sich verändert und Kleist ist in einer verzweifelten Lage. Tut er nun also das, was Medien seither bis heute tun: bedient er mit dieser Geschichte einfach den von ihm vorausgesetzten Publikumsgeschmack? Und den glaubte er nach seinem Ausflug nach Würzburg ja zu kennen, wo er eine Leihbibliothek besuchte. Nachdem er sich vergeblich nach ernsthafter Literatur erkundigt hat, entdeckt er, was das Würzburger Publikum liest. Nicht Goethe und Schiller. Auf die Frage: “Was stehn denn also eigentlich für Bücher hier an diesen Wänden?” erhält er die Antwort: “Rittergeschichten, lauter Rittergeschichten, rechts die Rittergeschichten mit Gespenstern, links ohne Gespenster, nach Belieben — ‘So, so.’” So jedenfalls berichtet er es an Wilhelmine von Zenge in seinem Brief vom 13. (-18.) 9. 1800. Nun hatte Kleist, wie ich gezeigt habe, in seinen Erzählungen immer wieder Elemente der Trivialliteratur des 18. Jahrhunderts aufgenommen, so im “Zweikampf,” in der “Marquise von O…” und im Zerbrochnen Krug das Detektivschema, im “Michael Kohlhaas” das beliebte zeitgenössische Thema vom “ehrlichen” Räuber, in der “Heiligen Cäcilie” die von der katholischen Erbauungsliteratur weit verbreitete Wunderlegende, im “Findling” die in der Romantik beliebte Doppelgängergeschichte, die Ritterromantik im “Zweikampf” und im “Bettelweib von Locarno” eben die Gespenstergeschichte. Trivial im weiteren Sinne ist auch das Interesse am Exotischen, das sowohl im “Erdbeben in Chili” als auch in der “Verlobung in St. Domingo” zu Wort kommt. Und gewiss, für den Geschmack des Berliner Publikums war diese Geschichte auch geschrieben, und das macht ihre medieneffektive Modernität aus.

Darüber hinaus enthält diese kleine Geschichte aber auch andere Elemente, die auf die Moderne vorausweisen. Eines dieser Elemente ist das Gespenst, eine Erscheinung, der auch Kant eine Abhandlung widmete. Kant, in Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, hatte dieses Schattenreich als das Paradies der Fantasten gekennzeichnet.

Type
Chapter
Information
Publisher: Boydell & Brewer
Print publication year: 2011

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