Skip to main content Accessibility help
×
Hostname: page-component-77c89778f8-gq7q9 Total loading time: 0 Render date: 2024-07-17T10:04:32.206Z Has data issue: false hasContentIssue false

Introduction: Leben im Falschen: Wohnen bei Brecht und Müller

Published online by Cambridge University Press:  22 February 2024

Markus Wessendorf
Affiliation:
University of Hawaii, Manoa
Get access

Summary

In Erwägung, dass da Häuser stehen

Während ihr uns ohne Bleibe lasst

Haben wir beschlossen, jetzt dort einzuziehen

Weil es uns in unsern Löchern nicht mehr passt.

So klingt die Resolution an, die von den Revolutionären in Bertolt Brechts Tage der Kommune formuliert wird. Die Wohnungsfrage markiert bereits den Beginn des Stückes: Mme Cabet kann die Miete nicht zahlen. Wohnraum ist in der Stadt heiß umkämpft, an seiner Unverfügbarkeit für so viele entzünden sich soziale Revolutionen. Darin unterscheiden sich die Jahre 1871, 1949 (in dem Brecht das Stück schreibt) und das gegenwärtige 2023 kaum: jedes reklamiert einen Neuanfang der Geschichte, durch den die Aufständischen “[z]um ersten Mal” verkünden könnten: “die Stadt ist bewohnbar.” Wohnen bedeutet dabei nicht nur die Abwesenheit von Bedrohung und die Rettung aus der Prekarität; es enthält das Versprechen eines neuen, gerechten Zusammenlebens. Die auf der Bühne, im Text und durch politisches Handeln “publizierten Bauten” lassen die Wohnung so auch zum “Möglichkeitsraum für andere” werden.

Brecht, wie später auch Heiner Müller, fand im Wohnen einen Nexus sozialer Verhältnisse, an dem die Aporien kapitalistischer Gesellschaft zum Tragen kommen. In Stücken, Prosa, Gedichten und Interviews erkundeten beide das Wohnen als Zwischensphäre von Lebenspraxis, Theorie, Urbanistik und Ästhetik. Die historischen Entwicklungen, denen das Wohnen im zwanzigsten Jahrhundert unterworfen war, lassen sich dabei gerade aus der Konstellation Brecht-Müller ablesen. Während Brecht noch dazu aufrufen konnte, “das Land zu bebauen, das wir verfallen ließen, und / Die wir verpesteten, die Städte / Bewohnbar zu machen,” konstatiert Müller einige Jahrzehnte später in der gleichen Stadt und deutlich pessimistischer: “Unsere ökologischen Probleme sind allenfalls durch Evakuierung auf andere Planeten zu lösen… . Alle können sie aber von der unbewohnbaren Erde nicht weg, und dann wird ausgewählt. Wer fährt mit?” Das politisch und technologisch progressive Projekt einer “Bewohnbarmachung der Erde” und damit auch seine dialektische Kehrseite, ihre potenzielle Unbewohnbarkeit, rufen Überlegungen auf, die an zeitgenössische Umwelt- und Zukunftsfragen ebenso anschließen wie an sozialpolitische Fragen nach der (Un-)Möglichkeit des Wohnens in der gentrifizierten Stadt. Blickte Müller finster in die Zukunft eines vereinigten Berlins, in dem der “Wirtschaftskrieg gegen das Wohnrecht” sich allmählich in einen “Krieg gegen die Wohnungslosen” verwandelt, so versuchte Brecht, die Vergangenheit der Metropole zu erretten, indem er die “alltäglich erscheinenden / Tausendfachen Vorgänge in verachteten Wohnungen / Unter den Vielzuvielen als historische Vorgänge” untersuchte.

Type
Chapter
Information
Publisher: Boydell & Brewer
Print publication year: 2023

Access options

Get access to the full version of this content by using one of the access options below. (Log in options will check for institutional or personal access. Content may require purchase if you do not have access.)

Save book to Kindle

To save this book to your Kindle, first ensure coreplatform@cambridge.org is added to your Approved Personal Document E-mail List under your Personal Document Settings on the Manage Your Content and Devices page of your Amazon account. Then enter the ‘name’ part of your Kindle email address below. Find out more about saving to your Kindle.

Note you can select to save to either the @free.kindle.com or @kindle.com variations. ‘@free.kindle.com’ emails are free but can only be saved to your device when it is connected to wi-fi. ‘@kindle.com’ emails can be delivered even when you are not connected to wi-fi, but note that service fees apply.

Find out more about the Kindle Personal Document Service.

Available formats
×

Save book to Dropbox

To save content items to your account, please confirm that you agree to abide by our usage policies. If this is the first time you use this feature, you will be asked to authorise Cambridge Core to connect with your account. Find out more about saving content to Dropbox.

Available formats
×

Save book to Google Drive

To save content items to your account, please confirm that you agree to abide by our usage policies. If this is the first time you use this feature, you will be asked to authorise Cambridge Core to connect with your account. Find out more about saving content to Google Drive.

Available formats
×