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Von Liù zum “jungen Genossen.” Giacomo Puccinis Turandot und Bertolt Brechts Die Maßnahme
from New Brecht Research
Summary
Das ursprünglich aus dem Persischen stammende Märchen von der schönen, aber grausamen, männermordenden Prinzessin Turandot inspirierte bekanntermaßen auch das Werk Brechts, und wie fast immer nutzte er eine Vorlage, um auf der Basis ihres Stoffes gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu demonstrieren, sie offenzulegen und sie damit potenzieller Veränderbarkeit auszusetzen. Weit entfernt ist das Stück von der Tradition, schon der Titel Turandot und Der Kongress der Weißwäscher verdeutlicht programmatisch, dass der Bereich des Mythischen und Märchenhaften verlassen, parodiert, gar unterminiert wird zugunsten sozialer Belange. Es geht nicht mehr um Geheimnisvolles, sondern um die Fähigkeit, marktwirtschaftliche Mechanismen zu verschleiern, was von den “Weißwäschern” erwartet wird. Diese stehen im Zentrum der Handlung, nicht mehr Turandot, die, uninteressant geworden, längst keine Heldin in schillerscher Manier mehr ist. Das Drama kam erst 1953, als eines der letzten und nicht unbedingt besten Brechts, zustande; den Stoff jedoch kannte er bereits seit 1922/23, und er plante eine dramatische Bearbeitung, bei deren Inszenierung Carola Neher die Titelrolle übernehmen sollte. Die konkreten Quellen, auf die Brecht zurückgriff, waren Carlo Gozzis Turandot-Drama, das sich in Brechts Nachlass-Bibliothek mit handschriftlichem Vermerk von 1925 befindet, die Schiller-Bearbeitung und die 1925 erschienene Bearbeitung von Waldfried Burggraf.
Von Puccinis Oper, 1926 in Italien und Deutschland uraufgeführt, ist nicht die Rede, und es sind in Brechts Drama auch tatsächlich keinerlei Ent- oder Anlehnungen an dieses Werk nachweisbar. Dies sei in dieser Eindeutigkeit festgestellt, und das erscheint auch nicht unbedingt als verwunderlich: Was soll Brecht schließlich bei oberflächlicher Betrachtung mit dem ehemals exponierten Vertreter des verismo, der dessen Gesellschaftsbezogenheit mit Turandot gar zugunsten mythologischer Muster scheinbar vollends verließ, Rodolfos und Mimís Bohéme-Milieu durch Märchenhaftes austauschte und mit seiner Musik die doch so verpönte Kulinarik ein weiteres Mal auf die Spitze treiben wollte? Der Gegensatz könnte doch nicht größer sein: Puccini emotional, Brecht rational, so die wohlfeile Formel, und damit ist das Wesentliche gesagt. Wie hätte beispielsweise Hanns Eisler reagiert, wäre Brecht ihm noch mit Puccini gekommen, nahm er doch schon in gewisser Weise Anstoß an Brechts nicht zuletzt affektiver Rezeption der Musik Bachs? Den konnte Eisler vor seinem marxistischen Horizont dann weitestgehend auf das Funktionale, etwa das Gestische, reduzieren, aber Puccini? Letztlich ist er doch, vor kommunistischem Hintergrund, eine persona non grata, bezüglich des Werkes Brechts in dieser Hinsicht vergleichbar mit Nietzsche und Kafka.
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- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 39The Creative Spectator, pp. 150 - 167Publisher: Boydell & BrewerPrint publication year: 2016