Literaturanthropologische Auseinandersetzungen mit Geschlechtermodellen entwickeln ihre Brisanz gerade dort, wo sie sich mit dem Dualismus von Kultur- und Naturbegriff auseinandersetzen und nach dessen geschlechterspezifischen Implikationen fragen. Schließlich nehmen literarische Entwürfe, mit besonderem Nachdruck Texte der Moderne, Anteil an der Konstruktion von Geschlechteridentitäten, die Männer als Repräsentanten der Kultur und Frauen als Stellvertreterinnen der Natur inszenieren. Hat die feministische sowie Gender-Forschung der Gleichsetzung von Frau und Natur in gesellschaftlichen, aber auch spezifisch literarischen Entwürfen hinreichend Rechnung getragen, wurde die Parallelität von Männlichkeitsmodellen und dem Kulturbegriff deutlich weniger berücksichtigt, nicht zuletzt aufgrund der noch jungen Diszplin einer "Männlichkeitsforschung.“
An die literaturanthropologische Diskussion um die geschlechterspezifische Besetzung der Begriffe Kultur und Natur anknüpfend soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, welche Aussagen über Männlichkeit in literarischen Entwürfen dann getroffen werden, wenn der Kulturbegriff in die Krise gerät, er kritisch und in Abgrenzung von einem weiblich besetzten Naturbegriff reflektiert wird. In den Blick genommen werden Alfred Döblins Novelle Die Ermordung einer Butterblume und Robert Musils Novellenzyklus Drei Frauen — Texte der literarischen Moderne also, deren männliche Protagonisten sich als jene von Musil selbst so bezeichneten "Jünger des kühlen, trocken phantastischen, Bogen spannenden neuen Ingenieurgeistes” deuten lassen und deren männliche Identität in eine existenzielle Krise gerät — ausgelöst durch die Begegnung mit einer als weiblich erfahrenen Natur.
Ziel des Beitrags ist es, die literaturästhetische Reflexion des Kulturbegriffs mit Blick auf die literarischen Texte Döblins und Musils und anhand ihrer theoretischen, teilweise dezidiert kulturanthropologischen Schriften in ihrer anthropologischen und geschlechterspezifischen Dimension auszustellen und als eine Methode nachzuvollziehen, die Brüchigkeit männlicher Identität im Kontext der Moderne literarisch zu spiegeln.
Zwischen Kulturpessimismus und Technikeuphorie
Nicht zufällig markieren die hier untersuchten Texte die Ränder des expressionistischen Jahrzehnts: Während Döblins Text, der 1910 erscheint, seine Anfänge begründet, zeugt Musils Novellen-Zyklus, dessen Einzelerzählungen in den Jahren 1921–23 veröffentlicht werden, bereits von seiner Überwindung. Gemeinsam aber formulieren beide Werke noch jene besondere Kulturkritik, die programmatisch für die zeitgenössische Literatur ist, welche den Dualismus von Natur und Kultur nachhaltig inszeniert und ambivalent bewertet. Hier, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, gerät Kultur in eine Krise, ausgelöst durch einen Gesellschaftswandel, der angesichts einer fortschreitenden Industrialisierung, Technologisierung und Verstädterung seine problematischen sozialen Konsequenzen nicht verbergen kann. Das enge Beieinanderliegen von Fortschrittsglaube und Zivilisationskritik, von Technikbegeisterung und Naturverklärung gehört dabei zu den konstitutiven Begleiterscheinungen der Moderne:
Der rationalistische Grundzug des Jahrhunderts verbindet sich mit einem untergründigen Antirationalismus, so wie dem Materialismus der Epoche ein Antimaterialismus korreliert.