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Celan Als Rekonfigurierung Brechts

Published online by Cambridge University Press:  28 October 2020

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Summary

“In den finsteren Zeiten / Wird da auch gesungen werden? / Da wird auch gesungen werden. / Von den finsteren Zeiten” (BFA 12, 16). Diese Brecht- Zeilen zu zitieren heißt zugleich den Raum umreißen, der Brechts Gedicht mit dem Paul Celans verbindet; und zwar nicht nur okkasionell, in dem einen oder anderen Text, sondern prinzipiell, in Ursprung und Genese, in dem gemeinsamen Punkt, von dem, um ein Wort Celans zu gebrauchen, sich die Gedichtwerke beider Autoren herschreiben: im dichterischen “Gegenwort” nämlich zu den exterminatorischen Impulsen wie zur „todbringenden Rede” des Dritten Reiches. Denn “Eine glatte Stirn / Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende / Hat die furchtbare Nachricht / nur noch nicht empfangen” (BFA 12, 85). Brechts, wie Celans, Gedicht hat indes die Nachricht empfangen und trägt sie an der Stirn: und was zuallererst als eine zwingende Verbundenheit beider Dichter auffallen muss, ist diese gezeichnete Stirn ihrer beider Gedichtwerke, dieses Zusammenfallen von Zeit- und Sprachempfinden in ihren Texten. Der britische Historiker Eric Hobsbawm hat in seiner Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts festgehalten, wie ihm als noch blutjungem Menschen am Berliner Kurfürstendamm der Sinn für Geschichte aufgegangen sei, als er dort die Zeitung aufschlug mit der Nachricht von Hitlers Machtergreifung. Brechts und Celans Gedicht schlagen indes immerzu diese Zeitung auf, zittern immer noch nach von dieser Nachricht, sind davon durchdrungen wie wohl das Werk weniger ihrer Zeitgenossen. Gerade hierin figuriert Brechts äußerst verknappter Vierzeiler als Mikrokosmos und generative Keimzelle, welche die Grundbewegung, den tragenden Bogen sowohl seines eigenen wie auch des Celanschen Gedichtwerks in sich birgt: den Einbruch der finsteren Zeiten als Ausgangspunkt und incipit, die Infragestellung allen Gesangs durch sie, das Wiederaufgreifen des Gesangs im Zeichen dieser Infragestellung, als ein Ansingen gerade gegen die drohende Finsternis. “Wir wollen uns um unsere Gründe fragen / Der Traurigkeit, du Mensch der späteren Zeiten / Die meinen wird Dir die Geschichte sagen / Die Jahreszahlen meiner Traurigkeiten,” schrieb Berthold Viertel, als Wiener Jude und antifaschistischer Exilant der Brechtschen und der Celanschen Sphäre wohl zu gleichen Teilen verbunden. So sind das Celansche wie das Brechtsche Gedicht beide markiert durch dieses Empfinden der lebensbestimmenden und -zerstörenden, um nicht zu sagen, apokalyptischen Macht der Jahreszahlen in der faschistischen Epoche.

Type
Chapter
Information
Publisher: Boydell & Brewer
Print publication year: 2018

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