Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen in der neueren deutschen Literaturwissenschaft ist die hohe Anerkennung, die Lenz heute nach über 200-jähriger Marginalisierung erfährt. An fundierten Versuchen, Lenz nicht als Versager oder als “Goethe-Satelliten” (Kohlschmidt) zu sehen, hat es nicht gefehlt, aber diese Versuche konnten das vorwiegend negative Lenzbild kaum korrigieren. Noch 1980, im 3. Band der von Rolf Grimminger herausgegebenen Sozialgeschichte der deutschen Literatur, wird der Name Lenz eher beiläufig erwähnt. Zehn Jahre später widmet ihm der 6. Band der DeBoor/Newaldschen Geschichte der deutschen Literatur bereits umfangreiche Erläuterungen, die die Eigenständigkeit Lenzens hervorheben. So heißt es hier beispielsweise: “Nicht Goethe, sondern Lenz schreibt die wichtigsten sozialkritischen Dramen der Epoche, nicht Goethe, sondern Lenz macht Reformvorschläge” (493). Damit wird eine neue Bewertung Lenzens eingeleitet, die mit dem vorliegenden Handbuch ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Dass Lenz erst heute voll anerkannt und gewürdigt wird, hat damit zu tun, dass er als “Nomade zwischen den Sprachen und Kulturen … den Typus eines Autors [verkörpert], der gegenwärtig Konjunktur hat” (vii).
An diesem langjährigen Lenzprojekt waren 29 Autoren beteiligt, was einerseits zu zahlreichen “organisatorischen Koordinationsprobleme[n]” (x) geführt hatte, andererseits aber schließlich ein umfang- und perspektivenreiches Werk hervorbrachte. Zum Vergleich: Das 2009 bei Metzler erschienene und ähnlich strukturierte Büchner-Handbuch hat nur den halben Umfang des Lenz- Handbuches. Überschneidungen sind bei einer derart großen Anzahl von Mitarbeitern unvermeidlich. Z.B. wird der Aspekt “Aufklärung” sowohl in “Themen” als auch in “Lenz in der Wissenschaft” behandelt. Das ist jedoch insofern akzeptabel, als es sich hier nicht um Redundanzen handelt, sondern um die Darstellung bestimmter Themen aus unterschiedlichen Perspektiven.
Die zentralen, für Handbücher dieser Art typischen Schwerpunkte sind Autor, Werke, Themen und Rezeption. Eine Zeittafel zu Leben und Werk, eine Lenzbibliographie sowie das Register beschließen den Text. Das Handbuch geht auf alle Schriften ein, die Lenz zugeordnet werden können. Nicht nur veröffentlichte Werke werden besprochen, sondern auch Fragmente und Entwürfe. Allerdings bemängeln die Autoren mehrmals das Fehlen einer historischkritischen Gesamtausgabe, die für eine zuverlässige Forschung unabdingbar ist, und solange sie bloßes Desiderat bleibt, auch die Forschung etwas in der Schwebe hält.