Zu den erregendsten Zeiten der Geistesgeschichte gehören sicher die zwei Jahrzehnte, in denen Aristoteles zunächst in der Schule Piatons seine philosophische Anregung empfing, um sich dann von seinem Lehrer und von der platonischen Akademie zu lösen und sein eigenes System dem seines Lehrers gegenüberzustellen.
Die folgenden Jahrhunderte richteten ihren Blick ausschlieβlich auf die ausgebildeten Systeme dieser beiden groβen Denker. Entweder stellte man ihre Ansichten als gegensätzlich einander gegenüber oder man trachtete sie irgendwie miteinander zu vereinigen. Das hatte zur Folge, daβ gerade die Jahre, da beide als Lehrer und Schüler sich begegneten, für uns in Dunkel gehüllt sind.
Wir besitzen zwar das literarische Werk Piatons, aber wir wissen wenig von seinem mündlichen Unterricht und von dem Lehrbetrieb seiner Schule. Und gerade die Reihenfolge seiner Spätschriften, die eben in die zwei Jahrzehnte fallen, da Aristoteles in der Akademie war, können wir immer noch nicht mit Sicherheit bestimmen. Aristoteles kannte natürlich die Schriften seines Lehrers, aber er war nicht auf sie angewiesen, um zu wissen, welche Ansichten Piaton vertrat. Wir wissen auch, daβ er selbst die Lehre der Akademie in Schriften vertreten hat, die teilweise im Altertum weit verbreitet und berühmt waren. Wir wissen freilich auch, daβ er in anderen seiner Schriften die Lehren Piatons bekämpfte und seine gegenteilige Ansicht begründete. Wir haben aber von diesen Schriften nur geringe und unzusammenhängende Bruchstücke. So stehen wir bei der Erforschung dieses Zeitraums, dessen Kenntnis uns doch helfen könnte, sowohl Piaton wie Aristoteles besser zu verstehen, vor groβen Schwierigkeiten.