Der nachfolgende Beitrag zur Geschichte der Fraktionskämpfe in der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands” beschreibt einen sachlich wie zeitlich begrenzten Aspekt jener Auseinandersetzungen, die nach dem Londoner (zweiten) Kongress der RSDRP der russischen Arbeiterbewegung das Gepräge gegeben haben. Dabei wird nicht übersehen, dass die hier gewählte Fragestellung nach dem Verhältnis der deutschen Sozialdemokratie zu den russischen Berufsrevolutionären vor einem historischen Hintergrunde steht, der aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts neu durchleuchtet werden muss. Das leidenschaftliche Interesse an der eigenen Geschichte, das Generationen russischer Intelligencija nach Selbstverständigung, Rechtfertigung und Abgrenzung suchen liess, hat dem Historiker eine nahezu beispiellose Fülle von Zeugnissen hinterlassen, die trotz mancher gegenwartsbedingter Schwierigkeiten keinen Anlass geben, von Quellennotständen zu sprechen. Was bis weit über Revolution und Bürgerkrieg hinweg diesseits und jenseits der Grenzen bei aller vom Politischen her gesteigerten Dokumentationsfreudigkeit erschlossen worden ist, braucht den Vergleich – etwa mit der Situation im Bereich der deutschen Parteigeschichte – nicht zu scheuen. Wenn sich die historische Beschäftigung mit der Vorgeschichte der Revolution dennoch einer unzuträglichen Verengung des Blickfeldes erwehren muss, so ist dies nicht so sehr in einer chronischen Mangellage an Quellen begründet, sondern eher in der relativ leichten Zutänglichkeit einer reichen, aber einseitig bolschewistisch orientierten Auswahl des gedruckten Materials. Seit den dreissiger Jahren ist dieser Zustand in besonderem Masse von der sowjetischen Historiographie gefördert worden, die ihre erzwungene Verarmung auf der Linie einer zielgerichteten „Parteilichkeit” bis in die Quelleneditionen hinein kundgegeben hat.