In seinem Anfang 1914 erschienenen Buch über den politischen Massenstreik betont Karl Kautsky, daß die Parteimehrheit, die seit 1899 stets gegen die „staatsmännische Ungeduld” des rechten Flügels vorgehen mußte, sich seit dem Magdeburger Parteitag von 1910 fast ausschließlich gegen die „rebellische Ungeduld” der äußersten Linken zu wenden hatte. Damit liefert er ein bezeichnendes Stichwort der innerparteilichen Diskussion am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Die offizielle Ideologic der deutschen Vorkriegssozialdemokratie, die zu Recht mit dem Namen ihres Schöpfers Kautsky etikettiert wird, konnte sich zwar als Element der Integration einer heterogenen Massenpartei im taktischen, organisatorischen und psychologischen Bereich bis 1914 unbestritten behaupten. Insbesondere aber seit der preußischen Wahlrechtsbewegung hatte sie starke Belastungsproben zu bestehen, die von dem linken Parteiflügel ausgingen, der nun mit eigenständiger politischer Kraft und größerem Führungsanspruch auftrat. Der Attentismus des „marxistischen Zentrums”, das unter der theoretischen Führung Kautskys und der politischen Leitung Bebels das Bild der Gesamtpartei prägte, war für die in zahlreichen Nuancierungen sich herauskristallisierende Linke Anlaß zunehmender Unruhe und harter Angriffe. Die Debatten um die Marokkopolitik des Vorstandes dokumentieren dies eindrucksvoll. Die dazu parallel laufenden Bestrebungen eines Teils der Radikalen, die auf eine Reorganisierung der Parteileitung drängten, wurzelten im Boden derselben Kritik