Auf den ersten Blick kann man sich kaum einen größeren Unterschied als den zwischen Karl Kraus und Bertolt Brecht vorstellen. War nicht der Eine—einmal etwas vereinfacht gesehen—ein bürgerlicher Einzelgänger, der in seiner Umwelt nur Untergangssymptome wahrnahm, auf die er mit beißendem Spott reagierte, und war nicht der Andere—ebenfalls etwas vereinfacht gesehen—ein unermüdlicher Optimist, der sich unter marxistischem Vorzeichen bis zum Ende seines Lebens für eine “Bewohnbarmachung” der Welt eingesetzt hat? Was soll daher bei einem Vergleich dieser beiden Autoren herauskommen? Nur Unterschiede oder eventuell auch Vergleichbares? Das wäre die Frage, die es in dieser Hinsicht zu stellen gilt.
In der relativ spärlichen Sekundärliteratur zum Verhältnis dieser beiden so verschiedenartigen, ja unvergleichlichen Autoren zueinander gibt es darum auf diese Frage bisher kaum befriedigende Antworten. Zugegeben, dass Brecht nach 1933 von Kraus eine scharfe Ablehnung des Nazifaschismus erwartet hatte und über ihr Ausbleiben lange Zeit verstimmt war, davon ist in vielen Brecht-Studien mehr oder minder ausführlich die Rede. Aber all das, was dieser Erwartungshaltung in den zwanziger Jahren vorangegangen war, bleibt meist unerwähnt oder wird eher beiläufig behandelt. Ja, wenn in den bekannteren Brecht-Darstellungen Kraus überhaupt auftaucht, dann lediglich als eine unbedeutende Randerscheinung oder gar als Antipode, auf den man nicht näher einzugehen braucht.
Schuld an dieser Nichtbeachtung ist weitgehend jene zum Teil ins Hagiographische tendierende Kraus-Darstellung, wie sie sich unter seinen engsten Anhänger ausbildete und dann auf weite Kreise der bürgerlichliberalen Literaturkritik übergriff. In ihren Schriften wird Kraus fast ausschließlich als ein “einsamer Kämpfer” gegen das herrschende Presseunwesen charakterisiert, der kein Blatt vor den Mund genommen habe, um mit triumphierender Gehässigkeit gegen eine Welt von Feinden zu Felde zu ziehen, in denen er—aufgrund seiner intellektuellen Überlegenheit—lediglich ein Sammelsurium tölpelhafter Spießer oder nichtswürdiger Duckmäuser gesehen habe. Diese Kritiker stellten daher Kraus zumeist als einen ihnen zutiefst verwandten Spötter, Nörgler oder Querulanten hin, der stets darauf aus gewesen sei, sich auf gut- oder bestbürgerliche Weise über all jene lustig zu machen, die er als geistig minderbemittelt empfunden habe.