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Bundesideologie im Matthäusevangelium. Die Vorstellung vom neuen Bund als Grundlage der matthäischen Gesetzesverkündigung*

Published online by Cambridge University Press:  02 December 2011

Mogens Müller
Affiliation:
Theologische Fakultät Kopenhagen, Købmagergade 44–46, DK 1150 Kopenhagen, Dänemark. email: mm@teol.ku.dk

Abstract

The prophetic concept of a new covenant appears to be the key to the question of how the Gospel of Matthew depicts the life of believers in obedience to the commandments of God. This is made possible by the fact that God forgives all sins and puts his Spirit in the hearts of people, so that they are enabled to fulfil his will. Even though the new covenant is hardly mentioned in Matthew's Gospel, that is because it is written to a community of baptized believers in which the new covenant is presupposed as the foundation of their Christian life.  The essential obligation also to forgive others is stressed in 6.14–15 and in the parable of the unforgiving servant (18.23–35), and the necessity of heart-transformation can be seen besides in the Matthean use of the metaphor of the heart.

German abstract: Die prophetische Konzeption eines neuen Bundes scheint der Schlüssel zu der Frage zu sein, wie der Verfasser des Matthäusevangeliums sich das Leben der Glaubenden im Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes vorstellt. Dies wird dadurch ermöglicht, dass Gott alle Sünden vergibt und seinen Geist in die Herzen der Menschen legt, damit diese so imstande sind, seinen Willen zu erfüllen. Wenn im Matthäusevangelium kaum von einem neuen Bund gesprochen wird, liegt dies daran, dass es für eine Gemeinde von Getauften geschrieben ist, in der der neue Bund als Grundlage ihres Lebens als Christen bereits vorausgesetzt ist. Die unverzichtbare Verpflichtung, auch selbst anderen zu vergeben, wird in 6.14–15 und im Gleichnis vom Schalksknecht, 18.23–35, hervorgehoben und ist außerdem im matthäischen Gebrauch der Metapher ‘Herz’ erkennbar.

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References

1 Müller, Siehe Mogens, ‘Ånden og loven i Romerbrevet. Pagtsteologi i Romerbrevet’, DTT 52 (1989) 251–67Google Scholar. Damals wurde ich stark inspiriert von Lars Hartmans Aufsatz, ‘Bundesideologie in und hinter einigen paulinischen Texten’, Die Paulinische Literatur und Theologie/The Pauline Literature and Theology (hg. Sigfred Pedersen; Teologiske Studier 7; Århus: Aros; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1980) 103–18.

2 Während z.B. Peter Stuhlmacher in seiner Biblischen Theologie des Neuen Testaments 1–2 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992–1999) den Neuen Bund nicht thematisiert, bietet Hans Hübner in seinem gleichnamigen dreibändigen Werk (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1990–1995) in Band 1 (Prolegomena) 77–100, eine relativ ausführliche Behandlung. Eine Übersicht findet sich bei Gräßer, Erich, ‘Der Alte Bund im Neuen. Eine exegetische Vorlesung’, Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zur Israelfrage im Neuen Testament (WUNT 35; Tübingen: Mohr [Siebeck], 1985) 1134Google Scholar. Dass sich das Bild allmählich verändert hat, zeigt u.a. die Aufsatzsammlung Für immer verbündet. Studien zur Bundestheologie der Bibel. FS Frank-Lothar Hossfeld (hg. Christoph Dohmen und Christian Frevel; SBB 211; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2007), die auch mehrere ‘neutestamentliche’ Beiträge enthält.

3 Dass in dieser Hinsicht offenkundig eine neue Situation eingetreten ist, lässt sich u.a. an der geänderten Auffassung der Paränese in den paulinischen Briefen ablesen. Wurden betreffende Ausführungen des Apostels früher meistens stiefmütterlich als eine Art Anhang betrachtet, werden sie nun tendenziell eher als der Höhepunkt, als das eigentliche Anliegen des jeweiligen Briefes angesehen.

4 Müller, Siehe Mogens, ‘The Hidden Context: Some Observations to the Concept of the New Covenant in the New Testament’, Texts and Contexts: Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts. Essays in Honour of Lars Hartman (ed. Fornberg, Tord und Hellholm, David; Oslo: Scandinavian University, 1995) 649–58Google Scholar.

5 Sanders, Vgl. E. P., Paul and Palestinian Judaism (London: SCM, 1977, 3rd ed. 1989) 420–1Google Scholar, wo parallel dazu argumentiert wird, dass der Begriff ‘Bund’ nur selten in ‘late Judaism’ vorkommt, sei für seine Bedeutung ‘deceptive’: ‘I would venture to say that it is the fundamental nature of the covenant conception which largely accounts for the relative scarcity of appearances of the term “covenant” in Rabbinic literature’ (Hervorgehobung von E.P. Sanders).

6 Es fragt sich deshalb, ob H. Hübner recht hat, wenn er (Biblische Theologie 1, 97) zustimmend auf die Aussage von Erich Gräßer hinweist, ‘daß unter allen im Neuen Testament gesammelten 27 Schriften allein der Hebr so etwas wie eine “Bundes-Theologie” vertritt’ (siehe Gräßer, ‘Der Alte Bund im Neuen’, 95). Gräßer, WennAusdruck, mit einen, Perlitt, den er bei Lothar, Bundestheologie im Alten Testament (WMANT 36; Neukirchen: Neukirchener, 1969)Google Scholar 129 ff. entlehnt hat, hier vom ‘Bundesschweigen’ in der Verkündigung Jesu und in den Evangelien redet, bezieht sich das freilich nur auf das Äußere und bedeutet nicht notwendigerweise, dass eine Bundestheologie nicht gegeben ist.

7 Die Bibel wird hier und im Folgenden nach der Einheitsübersetzung (Die Bibel. Vollständige Ausgabe des Alten und des Neuen Testaments in der Einheitsübersetzung (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1980) zitiert.

8 Stockhausen, Siehe Carol K., Moses’ Veil and the Glory of the New Covenant (AnBib 116; Rome, 1989)Google Scholar, und dies., ‘2 Corinthians 3 and the Principles of Pauline Exegesis’, Paul and the Scriptures of Israel (ed. Craig A. Evans und James A. Sanders; JSNTSup 83; Sheffield: Sheffield Academic, 1993) 143–64, insbes. 154–8.

9 So gibt es auch mehrere Monographien zum Thema Neuer Bund im Hebräerbrief: Susanne Lehne, The New Covenant in Hebrews (JSNTSup 44; Sheffield: SJOT, 1990); Backhaus, Knut, Der neue Bund und das Werden der Kirche: Die Diatheke-Deutung des Hebräerbriefs im Rahmen der frühchristlichen Theologiegeschichte (NTA NF 29; Münster: Aschendorff, 1996)Google Scholar. Siehe auch den Aufsatz von Jörg Frey, ‘Die alte und die neue διαθήκη nach dem Hebräerbrief’, Bund und Tora. Zur theologischen Begriffsgeschichte in alttestamentlicher, frühjüdischer und urchristlicher Tradition (hg. Friedrich Avemarie und Hermann Lichtenberger; WUNT 92; Tübingen Mohr [Siebeck], 1996) 263–310.

10 Schenker, Siehe Adrian, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten. Jer 31 in der hebräischen und griechischen Bibel (FRLANT 212; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006)Google Scholar.

11 Siehe Schenker, Das Neue am neuen Bund, 61: Im MT gilt: ‘Der neue Bund ist neu unter der Hinsicht, dass Israeliten und Judäer ihn ganz in ihr Inneres aufgenommen und ihn sich anverwandelt haben, sodass sie ihn von innen heraus halten wollen und halten können. Er ist jedoch nicht neu unter der Hinsicht seines Inhaltes und seines Zweckes, denn es ist die gleiche Tora wie die beim Auszug aus Ägypten von Anfang an gegebene, und es ist derselbe Bund, den Gott mit Israel und Juda geschlossen und gar nie aufgelöst hat’. Und weiter heißt es von der neuen Bundesschließung in LXX auf S. 62: ‘Die Gebote oder Gesetze dieses künftigen neuen Bundes werden dabei nicht nur die bisherigen Gebote sein. Es werden neue Gesetze sein. An der Identität der Tora Gottes bei der Gabe des Gesetzes beim Auszug aus Ägypten und im kommenden neuen Bund ist der Fassung der LXX nichts gelegen. Sie legt vielmehr andere, neue Gesetze nahe, die Gott inskünftig bei der Schließung des neuen Bundes erst offenbaren wird’. Vgl. auch die Diskussion in Karrer, Martin, Der Brief an die Hebräer Kapitel 5,11–13,25 (ÖTKNT 20/2; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2008) 112–23Google Scholar.

12 Müller, Siehe Mogens, ‘Forstod essæerne deres pagt som den nye pagt? Pagtsforestillingen i Damaskusskriftet og Sekthåndbogen’, Dødehavsteksterne og Bibelen (hg. Niels Hyldahl und Thomas L. Thompson; Forum for Bibelsk Eksegese 8; Kopenhagen: Museum Tusculanum, 1996) 7999.Google Scholar

13 Über den (neuen) Bund als Thema paulinischer Theologie orientiert z.B. Helmut Merklein in einem Aufsatz mit gleichnamigem Titel, ThQ 176 (1996) 290–308, in dem auch auf weitere Literatur hingewiesen wird. Obwohl in Gal 4.21–31 von zwei Bünden die Rede ist, geschieht dies nicht auf derselben Linie wie in 2 Kor 3. Denn in Gal 4 wird der Sinai-Bund nicht einem neuen Christus-Bund, sondern dem noch älteren Verheiβungsbund mit Abraham gegenübergestellt. Es ist ja auch dieser Verheiβungsbund, der im Kontext verhandelt wird. Siehe die ausführliche Diskussion in Henrik Tronier, ‘Allegorese og universalisme—erkendelse som gruppemarkør hos Filon og Paulus’, Etnicitet i Bibelen (hg. Niels Peter Lemche und Henrik Tronier; Forum for Bibelsk Eksegese 9; Kopenhagen: Museum Tusculanum, 1998) 67–107, insbes. 93–102. So auch z.B. Franz Mussner, Der Galaterbrief (HThKNT IX; Freiburg: Herder, 3. Ausg. 1977) 321, und H. Merklein, op. cit. 301. Es ist also m.E. nicht ganz korrekt, wenn Hübner, Biblische Theologie 1, 90 Anm. 259, zu Gal 4.21–31 bemerkt: ‘Hier allerdings nur der Sache, nicht der Terminologie nach Neue Diatheke’, und im Nachfolgenden (92) schreibt: ‘Das Wort διαθήκη gewinnt in Gal 4.21–31 schon fast die Bedeutung Religion: Als einander ausschliessende Gegensätze stehen sich die mosaische Religion des Gesetzes als die Religion der Knechtschaft und die christliche Religion des Evangeliums als die Religion der Freiheit unvermittelbar gegenüber’. Siehe auch Bachmann, Michael, ‘Die andere Frau. Synchrone und diachrone Beobachtungenzu Gal 4.21–5.1’, Antijudaismus im Galaterbrief. Exegetisiche Studien zu einem polemischen Schreiben und zur Theologie des Apostels Paulus (NTOA 40; Freiburg Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1999) 127–58CrossRefGoogle Scholar und Sellin, Gerhard, ‘Hagar und Sara. Religionsgeschichtliche Hintergründe der Schriftallegorese Gal 4,21–31’, Das urchristentum in seiner literarischen Geschichte: FS Jürgen Becker (hg. Ulrich Melle und Ulrich B. Müller; BZNW 100; Berlin: de Gruyter, 1999) 5984Google Scholar; repr. in Sellin, Gerhard, Studien zu Paulus und zum Epheserbrief (hg. Dieter Sänger; FRLANT 229; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009) 116–37CrossRefGoogle Scholar.

14 Avemarie, Siehe hierzu Friedrich, Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte (WUNT 139; Tübingen: Mohr Siebeck, 2002) insbes. 129–74Google Scholar.

15 Vgl. Levin, Christoph, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt (FRLANT 137; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1985)Google Scholar.

16 So Levin, Die Verheißung, 138–41. Gross, Anders Walter, ‘Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament’, ThQ 106 (1996) 259–72Google Scholar: 261–2; ders., ‘Erneuerter oder Neuer Bund? Wortlaut und Aussageintention in Jer 31, 31–34’, Bund und Tora (hg. Avemarie und Lichtenberger) 41–66.

17 Siehe ‘Skriften på hjertets tavle. En metafors udvikling fra Det Gamle Testamente til Paulus’, Det gamle Testamente og den kristne fortolkning (hg. Karin Friis Plum und Geert Hallbäck; Forum for Bibelsk Eksegese 1; Kopenhagen: Museum Tusculanum, 1988) 85–116: 96.

18 Nach, ZitiertDas Buch der Jubiläen, übersetzt von Klaus Berger in JSHRZ II, 3 (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 1981)Google Scholar.

19 Diese Komplexität wird herausgearbeitet Vogel, von Manuel, Das Heil des Bundes. Bundestheologie im Frühjudentum und im frühen Christentum (TANZ 18; Tübingen/Basel: Francke, 1996)Google Scholar.

20 Eine gewisse Spätdatierung der Bundestheologie als Ausdruck des Verhältnisses zwischen Jahwe und seinem Volk wird heute weithin vertreten. Siehe z.B. Hübner, Biblische Theologie 1, 77–90. Leider nur auf Dänisch erschienen Jesper Høgenhaven, Den gamle pagt. En introduktion til den nyere debat om pagten i det Gamle Testamente (Tekst & Tolkning 8; Kopenhagen: Akademisk, 1990).

21 Kapelrud, Siehe Arvid S., ‘Der Bund in den Qumran-Schriften’, Bibel und Qumran. Beiträge zur Erforschung der Beziehungen zwischen Bibel- und Qumranwissenschaft. FS Hans Bardtke (hg. Siegfried Wagner; Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1968) 137–49Google Scholar: 142–3.

22 Übersetzung nach Eduard Lohse, Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2. Ausg. 1971).

23 Siehe, ‘Gesetz und Bund bei Paulus’, Rechtfertigung. FS Ernst Käsemann (hg. Johannes Friedrich, Wolfgang Pöhlmann und Peter Stuhlmacher; Tübingen: Mohr [Siebeck], 1976) 305–20Google Scholar: 312.

24 Vgl. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 270, wo hervorgehoben wird, dass LXX das hebräische hadash mit καινός, nicht mit νέος wiedergibt. Im ältesten Christentum wurde ‘neu’ jedoch schnell exklusiv verstanden und wurde der alte Bund durch das Adjektiv πάλαιος abgewertet (siehe 2 Kor 3.14; vgl. Hebr 8.13, wo das Verbum παλαιόω zweimal in einem ähnlichen Sinne benutzt wird).

25 Landmesser, Christof, Jüngerberufung und Zuwendung zu Gott (WUNT 133; Tübingen: Mohr Siebeck, 2001) 146Google Scholar, warnt davor, die für die paulinische Theologie sinnvoll erscheinende Zusammenstellung von Indikativ und Imperativ hinsichtlich des Matthäusevangeliums zu benutzen. ‘Einen für die Christen gegenwärtigen Indikativ des Heils kennt der Verfasser des Matthäusevangeliums (…) nicht’. Weiter heißt es (147): ‘Der Verfasser des Matthäusevangelium kennt offensichtlich keine gegenwärtige Heilsgewissheit der Christen, wie sie besonders Paulus in Röm 5.1–11 und in Röm 8.31–39 oder auch der Verfasser des Johannesevangeliums etwa nach Joh 3.16.36 u.ö. vertritt’.

26 Wie jüngst Graupner, von Axel, ‘Exodus 24 und die Frage nach dem Ursprung der Bundestheologie im Alten Testament mit einem Ausblick auf die Herrenmahlsüberlieferung im Neuen Testament’, Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte. FS Ulrich B. Müller (hg. Wolfgang Kraus; BZNW 163; Berlin: de Gruyter, 2009) 129–48Google Scholar, hervorgehoben wurde, gibt es in den Abendmahl-Texten mit oder ohne καινή inhaltlich nichts, was auf Jer 31 hinweist.

27 Hubert Frankemölle, Jahwe-Bund und Kirche Christi. Studien zur Form- und Traditionsgeschichte des ‘Evangeliums’ nach Matthäus (NTA NF 10; Münster: Aschendorff, 1974, 2., durchgesehene und um ein ausführliches Vorwort erweiterte Auflage, 1984) 7–83.

28 Vgl. hierzu auch Bachmann, Michael, ‘Neutetamentliche Hinweise auf halakhische Regelungen’, Nuovo Testamento: Teologie in dialogo culturale (hg. Nicola Ciola & Giuseppe Pulcinelli; Analecta Biblica Italiana 50; Bologna: Editione Dehoniane, 2008) 449–62Google Scholar: 456–7.

29 Mein hochgeschätzter Lehrer Bent Noack (1915–2004) gab in Matthæusevangeliets Folkelighed (Kopenhagen: Gad, 1971)Google Scholar der Ansicht Ausdruck, dass deshalb, weil das Matthäusevangelium für christusgläubige Juden verfasst worden sei und im Verhältnis zum Markusevangelium eine gewisse Rejudaisierung repräsentiere, ‘wir’ (d.h. die ‘Heidenchristen’) nicht als die intendierten Adressaten des ersten Evangeliums aufgefasst werden dürfen. Und für die Idee des Volkes, nicht etwas am Rande, sondern etwas Wesenhaftes, gelte: Es ‘müsste… zusammen mit der jüdischen Christenheit, aus der es entsprang, verschwunden sein’ (156). Bei diesen Überlegungen, die von Respekt gegenüber dem Judentum getragen sind, wird jedoch m.E. übersehen, dass das Matthäusevangelium nicht nur innerhalb des antiken Judentums entstanden ist, sondern auch eine ganz bestimmte Interpretation dieses Judentums bedeutet, sofern das Ethnische als entscheidendes Identitätsmerkmal aufgehoben wird. Diese Aufhebung gehört ja auch zum Evangelium für eine heidenchristliche Kirche, die das Alte Testament als Teil seiner heiligen Schrift hat.

30 Siehe bereits Bornkamm, Günther, ‘Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium’, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium (hg. Günther Bornkamm, Gerhard Barth und Heinz Joachim Held; WMANT 1; Neukirchen: Neukirchener, 6. Ausg. 1970) 1347Google Scholar: 28. Siehe ähnliche Formulierungen in Gerhard Barths Beitrag, ‘Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus’, dasselben Werk 54–154, 130–1.

31 Giesen, Siehe z.B. Heinz, Christliches Handeln. Eine redaktionskritische Untersuchung zum δικαιοσύνη-Begriff im Matthäusevangelium (EHS.T 181; Frankfurt am Main: Peter Lang, 1982) 237–63Google Scholar, und insbes. Wiard Popkes, ‘Die Gerechtigkeitstradition im Matthäusevangelium’, ZNW 80 (1989) 1–23, der die ‘Arbeitshypothese’ aufstellt, ‘dass sich Matthäus auf frühchristliche Tauf- bzw. neophytenkatechetische Tradition bezieht und dass ,Gerechtigkeit‘ gerade hier ihren theologischen Ort besaß’. Siehe aber auch Roland Deines’ grosse Untersuchung, Die Gerechtigkeit der Tora im Reich des Messias (WUNT 177; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004). Für Deines ist der matthäische Jesus der Messias, der durch seine Gebote die Tora auslegt und dadurch die wahre Gerechtigkeit als Geschenk ermöglicht. Damit ist eine neue heilsgeschichtliche Situation entstanden.

32 Das Folgende übernehme ich aus Aufsatz, meinem ‘Loven og hjertet. Bjergprædikenen som pagtsteologi’, Matteus och hans läsare—förr och nu. Matteussymposiet i Lund den 27–28 sept 1996. FS Birger Gerhardsson (hg. Birger Olsson, Samuel Byrskog und Walter Übelacker; Religio. Skrifter utgivna av Teologiska Institutionen i Lund 48, 1997) 4154Google Scholar: 45–8. Repr. in Müller, Mogens, Skriften i Skriften. Mellem tradition og reception. Fjorten afhandlinger (Publikationer fra Det Teologiske Fakultet 22; Kopenhagen: Det Teologiske Fakultet, 2. Ausg. 2011) 96108Google Scholar.

33 Baumgärtel, Siehe Friedrich, ‘καρδία κτλ’., ThWNT III (1938) 609–11Google Scholar, und Jacob, Edmond, ‘ψυχή κτλ’., ThWNT IX (1973) 623–5Google Scholar: ‘es kann durch das Einwirken Gottes zum Prinzip eines neuen Lebens werden’ (625.2–3).

34 Siehe Johannes Behm, ‘καρδία’, ThWNT III (1938) 611–14: 612.52–613.2. ‘Der Reichtum der Spielarten, in denen sich die Bdtg der hbr Grundwörter bewegt, kehrt bei καρδία in der LXX wieder. So ist die καρδία vor allen Dingen auch das Prinzip und Organ des menschlichen Personlebens, der innere Konzentrationspunkt des Wesens und Wirkens des Menschen als geistlicher Persönlichkeit …, daher auch der Quellort und Sitz des religiös-sittlichen Lebens’.

35 Vgl. Behm, ‘καρδία’, 613–14.

36 Vgl. Behm, ‘καρδία’, 613–14, der auch hinweist auf Schlatter, Adolf, Die Theologie des Judentums nach dem Bericht des Josephus (BFChTh 2. Rh. 26; Gütersloh: Bertelsmann, 1932)Google Scholar 21, wo es u.a. heißt: ‘An die Stelle des “Herzens” trat “das Denken”, διάνοια. Der Verlust, den der Anteil am griechischen Denken an dieser Stelle den Juden brachte, war schwer. Solange er vom “Herzen” sprach, empfand er das inwendige Leben mit seinem ganzen Wollen, Fühlen und Denken als Einheit. Nun aber wird das inwendige Leben auf den Denkvorgang reduziert’.

37 Siehe Behm, ‘καρδία’, 614.31–32: ‘als Hauptorgan des seelisch-geistigen Lebens, damit auch die Stelle im Menschen, an der Gott sich bezeugt’. Vgl. Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments (Tübingen: Mohr [Siebeck], 5. Ausg. 1965) 221–6, der sich mit dem Begriff καρδία jedoch vorzugsweise innerhalb seiner Analyse der anthropologischen Begriffe in der Theologie des Paulus beschäftigt. In den neueren Nachschlagewerken sieht das Bild ähnlich aus: Alexander Sand, ‘καρδία’, EWNT II (Stuttgart: Kohlhammer, 1981) 615–19; Volker Stolle, Herz [καρδία]. Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament I (Neubearbeitete Ausgabe; Wuppertal: Brockhaus—Neukirchen: Neukirchener, 1997) 948–53.

38 Sir 15.15a—hier mit [] markiert—findet sich nur in der Vulgata.

39 Gerhardsson, Birger, ‘An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen’, EvTh 42 (1982) 113–26Google Scholar: 124–5. Hervorhebungen von Gerhardsson.

40 Wertvoll in dieser Frage ist noch immer Henrik Ljungman, Das Gesetz erfüllen. Matth. 5,17ff. und 3,15 untersucht (LUÅ N.F. Avd. 1 Bd 50. Nr. 6; Lund: Gleerup, 1954).

41 So Gibbs, J. M. in Aufsatz, dem, ‘The Son of God as the Torah Incarnate in Matthew’, SE IV = TU 102 (Berlin: Akademie-Verlag, 1968) 3846Google Scholar. Ähnlich Eduard Schweizer, der in Anknüpfung an 11.28–30 sagt, dass so wie Weisheit und Gesetz in Sir 24.23 und Bar 4.1 gleichgestellt werden, ‘so ist Jesus das fleischgewordene Gesetz. Das erklärt die positive Wertung des Gesetzes wie die unerhörte Freiheit ihm gegenüber’. ‘Nachtrag zum Gesetz und Enthusiasmus bei Matthäus’, Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments (Zürich: Zwingli, 1970) 49–70; repr., Das Matthäusevangelium (hg. Joachim Lange; WdF 525; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1980) 350–76: 369.

42 Diese Hinweise verdanke ich Finn Damgaards Ph.D.-Abhandlung, Recasting Moses: The Memory of Moses in Biographical and Autobiographical Narratives in Ancient Judaism and 4th-Century Christianity (Publikationer fra Det Teologiske Fakultet 17; Kopenhagen: Det Teologiske Fakultet, 2010) 86–7. In Vita Mosis II 4 heißt es: ‘Ein König muss befehlen, was man tun soll, und verbieten, was nicht geschehen darf. Das Befehlen des Notwendigen und das Verbieten des Unstatthaften ist Sache des Gesetzes, sodass der König ohne weiteres das lebendig gewordene Gesetz und andrerseits das Gesetz ein gerechter König ist’ (Übersetzung nach Die Werke Philos von Alexandria in deutscher Übersetzung I [hg. Leopold Cohn; Breslau: Verlag von M. & H. Marcus, 1909] 298–9).

43 Diesem Verständnis der Forderungen der Bergpredigt als Beschreibung des Lebens im neuen Bund wurde übrigens u.a. von Hans Windisch (1881–1935) vorgegriffen, und zwar in seinem Buch Der Sinn der Bergpredigt. Ein Beitrag zum geschichtlichen Verständnis der Evangelien und zum Problem der richtigen Exegese (UNT 16; Leipzig: Hinrichs, 1929, 2., stark umgearbeitete, erweiterte und verbesserte Ausflage, 1937). Windisch versteht sie in einem eschatologischen Rahmen. Unter Einbeziehung von Ps 15 und 24 als Analogien erklärt er: ‘Sie ist Proklamation der von Gott verfügten Einlaßbedingungen durch den Mund Jesu’ (9). Im Matthäusevangelium stellt sie ‘die neue Gesetzgebung für das eschatologische Gottesreich dar: Sie beschreibt die “Gerechtigkeit”, die allein im Reiche Gottes gilt, sie tut “den Willen des Vaters im Himmel” kund, der getan werden muß, damit man Einlaß findet, sie beschreibt die Haltung gegen Gott und gegen die Nächsten, die in der Entscheidungszeit der Gegenwart gefordert und die im Reiche Gottes die einzig mögliche sein wird’ (10). Und obwohl Jesus selbst nie explizit darauf hinweist, nennt Windisch in diesem Zusammenhang die Rede von einer inneren Erneuerung, wie sie in Jer 31 und Ez 36 zum Ausdruck kommt. ‘Sein Ruf zur Umkehr setzt voraus, daß der innere Zustand bei seinen Hörern und bei seinen Jüngern derart ist, daß sie “nach Gottes Satzungen wandeln können” oder er ist es selbst, der durch sein Wort das Gebot Gottes “in ihr Innerstes legt”, und in ihr Herz schreibt… So erklärt sich der Radikalismus und das Vertrauen in seine Verwirklichung aus der eigenen Gottesergriffenheit’ (75–6).

44 Müller, Siehe Mogens, ‘The Reception of the Old Testament in Matthew and Luke–Acts: From Interpretation to Proof from Scripture’, NovTest 43 (2001) 315–30Google Scholar.

45 Müller, Siehe Mogens, ‘Historie som teologi. Om afviklingen af Moseloven i Lukasskrifterne’, Det gamle Testamente i jødedom og kristendom (hg. Mogens Müller und John Strange; Forum for Bibelsk Eksegese 4; Kopenhagen: Museum Tusculanum, 1993) 123–50Google Scholar.

46 Haeuser, Übersetzung von Philipp in Bibliothek der Kirchenväter 33 (Kempten/München: Kösel, 1917)Google Scholar.

47 Müller, Siehe Mogens, ‘Jødekristendommen og fremvæksten af kirkelig ortodoksi’, Patristica Nordica 4 (hg. Samuel Rubenson; Religio 44; Lund: Teologiska Institutionen, 1995) 1538Google Scholar, insb. 31–32.

48 hierzu, SieheLichtenberger, Hermann und Schreiner, Stefan, ‘Der neue Bund in jüdischer Überlieferung’, TQ 176 (1996) 272–90Google Scholar.